Schon vor ein paar Wochen hatte ich mal einen Artikel verfasst, in dem es um mein Gefühl zu Cusco geht: zur Stadt und zu seinen Menschen. Doch dann habe ich ihn aus Versehen gelöscht und dachte „Nee, dann soll´s wohl nicht so sein“ und hatte keine Lust, nochmal alles zu schreiben. Doch jetzt, nachdem ich am Sonntag eine Erfahrung gemacht habe, nach der viel zu dem Thema in mir arbeitete und ich mich zudem schon langsam in Abschiedsstimmung fühle (nur noch zwei Wochen arbeiten), drängt sich das Thema nochmal auf. Also Achtung, dieser Artikel wird einer der sehr subjektiven, vielleicht etwas emotionalen Art! Er fragt sich: Cusco, diese Stadt im Himmel – haben sich für mich ihre Türen geöffnet oder blieben sie geschlossen? Und was waren Türöffner oder -verschliesser?
Wie so oft in meinem Leben ist nichts so ganz ganz klar und die Medaille hat zwei Seiten: manchmal liebe ich diese Stadt und denke „Wow und ICH bin hier“, manchmal bin ich dermassen genervt und will nur noch raus. Mir ist klar, die Stadt wirkt nicht nur – zoom – energetisch oder sowas auf mich, sondern alles, was ich erlebe und fühle, erlebe eben ICH, fühle eben ICH. Das wird für niemanden gleich sein, wie für mich. Gerade zum Beispiel strömt ein Geruch herein, den ich abgöttisch liebe: den des Pala Santo, eines Holzes, was zum reinigenden Räuchern benutzt wird. Mhm. Ebenso liebe ich es, durch die alten Gassen um den Plaza San Blas zu gehen und es riecht nach Feuer und auf den Lehmmauern wachsen Kakteen. Da fühle ich mich, wie in alten Zeiten oder wie ich es mir in alten Zeiten vorstelle. Ich liebe die frischen Obstsäfte, die vegetarische peruanische Küche, meinen morgendlichen Obstsalat aus den Früchten, für die man bei uns ein Vermögen bezahlt und sie dann auch nicht schmecken, reife Avocados. Ich liebe es, immer wieder Blicke auf die Stadt von oben haben zu können, zum Templo de la Luna zu gehen, vergöttere diese unglaubliche Natur, und mag es, inmitten dieser Landschaft immer wieder auf Höhlen, Inkaruinen, duftende Kräuter zu stossen. Ich liebe den am Sonntag erlebten Wind, der mir entgegen kam, als ich endlich einen Berggipfel erklommen hatte. Und ich liebe es auch, diesen Moment mit dem Menschen geteilt zu haben, mit dem ich ihn teilte. Ebenso den manchmal zum Greifen nahen Mond und den fast herunterfallenden Sternenhimmel. Und die Lichter der Stadt bei Nacht. Die Gewitter in der Ferne und ja auch mitunter den Regen. Und den Sonnenaufgang, der sich mir aus meinem Fenster bietet, direkt vom Bett aus. Und auf der anderen Seite des Fensters den Sonnenuntergang. Ich liebe einige Plätze und regenbogenfarbenbeleuchtete Brunnen. Und Reisende, die Brot verkaufen oder Musik machen. Die Wege, die sich kreuzen mit besonderen Menschen. Die Vielfalt dieser Stadt.
Die Liste ist noch länger. Dennoch – leben möchte ich hier nicht. Wenngleich ich Cusco gerade in den letzten Wochen nochmal mehr zu schätzen lerne. Also warum möchte ich nicht hier leben? Eigentlich gibt es vor allem eine Sache, die mich stört und das beinahe Tag für Tag: für alle Menschen bin ich die Fremde. Die señorita aus Europa (bevorzugt Frankreich), Touristin, Reiche, Kluge, Interessante, Sexobjekt, Nichthierhergehörige, Weisshäutige und Blauäugige… Oder/ und eben alles zusammen. Und dass mir das immer und immer wieder gezeigt wird, das nervt. Und macht es für mich unmöglich, mich wirklich wohl zu fühlen. Ich denke, aus den Augen der Menschen, die mir das zeigen, wäre es unmöglich, mich als „richtig“ zugehöriges Mitglied dieser Stadt anzusehen. Auch noch nach 20 Jahren wäre das so, ich bin mir sicher.
Ich habe mich schonmal in meinem Studium mit dem Thema „Fremdheit“ theoretisch beschäftigt und weiss, dass es schwierig ist, als „normal“ (an)gesehen und behandelt zu werden, wenn man anders aussieht als die Mehrheit. Ist natürlich die Frage, was ist „normal“. Mistiges Wort, aber mir gehts eben um das, wie Menschen sehen, denken, werten und das geschieht innerhalb von Normalitätskonzepten. Ich weiss auch, dass es weitaus unangenehmere Zuschreibungen geben kann als die, die mir gegenüber gemacht werden. Sie könnten mich auch als Zurückgebliebene, Wertlosere, Hässliche oder so sehen. Alles eine Sache eben von Normalitätskonzepten, von Wertung. Also noch Glück gehabt, dass ich daher komme, wo ich her komme oder danach aussehe, daher zu kommen, woher ich komme. Denn das ist das Thema hinter dem Ganzen. Woher komme ich? Und was verbinden die Menschen damit? Daher auch – auf Reisen natürlich nicht ganz untypisch, aber ich reise ja nicht – die fast immer erste Frage, egal ob von Strassenverkäufern, Touristen, Apothekerinnen oder flirtenden Männern: Woher kommst du? Ätz. Ich frag mich in dem Moment: was interessiert dich das? Ist meist einfach eine Smalltalkfrage. Aber sie zeigt: Herkunft ist wichtig. Wir leben zwar in einer Welt, die sich immer mehr öffnet, doch immer noch in einer Welt, die in Nationen aufgeteilt ist und damit scheinbar wie in verschiedenen Welten. Dabei bewegen wir uns immer auf der gleichen Erde und über uns spannt sich das gleiche Himmelszelt. An einem fitzeligen Teil der Welt – Deutschland – werde ich nie gefragt, aus welchem Land ich komme, denn es ist klar, ich gehör dazu. Überall woanders ist das anders, immer mit bestimmten Vorstellungen durchmischt.
Am Sonntag hat mich ein betrunkener Jugendlicher belästigt. Auf meinem Lieblingsweg, runter von meinem Lieblingsberg. Erst wollte er mich betatschen, dann hat er mich beschimpft: „Geh zurück in dein Land!“. Wiederspricht sich da nicht was? Ich hab das Gefühl, das spiegelt – wenn auch im Extremen – das, was viele Menschen hier angeht bezüglich „uns Fremden“. Einerseits wollen sie was und dann hassen sie auch was. Die umhergehende Schmuckverkäuferin auf dem Plaza de Armas will mir umgedingt Ringe andrehen mit viel Tüdelüt („mamita comprame“) und zieht dann grummelig und miesgelaunt und ohne „Tschüs“ ab, nachdem ich ihr 5 Mal „Nein“ sagen musste. Als hätt ich sie getreten.
Das hängt alles in grossen Teilen mit dem Tourismus zusammen: die Menschen leben davon und sie produzieren ihn mit und gleichzeitig hab ich das Gefühl, sie mögen es nicht. Und das lassen sie die (potentiellen) Touristen spüren. Ich kanns auch verstehen, ich wäre absolut genervt, wenn ständig Touristen eine Mauer in meiner Stadt fotografieren würden, sich dekadent benehmen, ich denken würde, die haben alle viel mehr Geld – die kommen hierher und ich kann noch nichtmal nach Lima reisen – usw… Dennoch ist es so, wie es ist.
Und für mich heisst das: Ich könnte mich hier niemals wirklich zu Hause und als Teil dieser Stadt fühlen. Weil die Stadt mich nicht so fühlen lassen würde. Auch wenn ich 20 Jahre hier leben würde, noch immer könnte ich keine 10 Minuten ruhig auf dem Plaza de Armas sitzen, ohne mindestens 15 Mal angequatscht zu werden und mir Schlüsselanhängerlamas, Püppchen, eine Touristentour oder Inkazigaretten aufgedrängt oder aufgebettelt werden. Así es.
Das sind meine persönlichen Türenverschliesser. Türöffner ist der Ort an sich, der einfach toll ist und so viele Möglichkeiten offen hält. So gehe ich gern wieder. So komme ich gern wieder. Alles als Besucherin. Denn es gibt ja Beides: Liebe und Abneigung.