Es ist schon fast drei Wochen her, dass ich und ein paar Freunde uns um Mitternacht in Cusco treffen, um unsere Pilgerreise nach Qoyllurit’i zu beginnen. Es wird eine ganz besondere, einzigartige Erfahrung, die in einem Blog-Eintrag nur schwer einzufangen ist. Noch lange habe ich naemlich nicht alle Hintergruende, Geschichten, Traditionen und Bedeutungen des Erlebten verstanden. In diesem Text versuche ich, einen Teil meiner Recherchergebnisse zusammenzufassen und werde von meinem eigenen Qoyllurit’ii-Erlebnis erzaehlen. Unvollstaendig und subjektiv.
Jedes Jahr im Mai oder Juni findet das Fest am Fusse des heiligen Berges (Apu) Ausangate auf knappen 5000 Hoehenmetern statt. Eine Nummer kleiner wird es nochmals im September wiederholt. 90.000 Menschen stroemen jaehrlich zu diesem besonderen Ort. Es sind Cusqueños, sogenannte „Campesinos“, gesandte Taenzer und Pablitos aus den acht „Nationen“ Paucartambo, Quispicanchi, Canchis, Acomayo, Paruro, Tawantinsuyo, Anta, und Urubamba, Vertreter aus entfernteren Regionen Perus, Neugierige, Haendler und eine handvoll Touristen, die das Tal des Sinak’ara fuer ungefaehr eine Woche in eine Zeltstadt, ein Festival der anderen Art verwandeln.
Qoyllurit’i ist Quechua und bedeutet Schneestern. Ein Name praekolumbischen Ursprungs. Heute ist es jedoch ein synkretistisches Fest zwischen andinem und christlichem Glauben – gespickt mit unzaehligen indigenen und katholischen Zeichen und Bedeutungen. So werden einerseits Jesus Christus und ebenso die Apus sowie die Mutter Erde angebetet. Die Gesandten der (indigenen) „Campesinos“ tragen grosse Kreuze und Flaggen. Sie kommen aus allen Himmelsrichtungen und werden von Musik- und Tanzgruppen begleitet, gekleidet in bunten Trachten, die einen maskiert, die anderen in fransige Umhaenge gehuellt. Es wird um eine gute Ernte, Erfolg in der Viehzucht und Gesundheit gebeten. Obwohl das andine Fest viel aelter ist, wird der christliche Ursprung auf das Jahr 1780 zurueckdatiert, als Jesus der Legende nach dem Hirten Mariano Mayta in Form eines Jungen begnetete. Er half ihm, sein Vieh zu hueten. Als Mariano ihm aus Dankbarkeit neue Kleidung schenken wollte und den Stoff des Jungen nahm, bemerkte er, dass dies der gleiche Stoff wie der der Bischoefe war. Ein Pfarrer begab sich daraufhin auf die Suche nach dem Jungen, fand aber statt dessen nur einen Stein vor, in den sich der Junge verwandelt hatte. Mariano starb an diesem Stein und es praegte sich das Bild des Señor de Qoyullrit’is ein. An diesem Ort wurde daraufhin der Tempel des Señor de Qoyllurit’is erbaut. (Diese Geschichte variiert je nach Quelle in ihren Details).
In dem von Cusco 2-3 Stunden entfernten Dorf Mawayani beginnt fuer uns und zahrreiche andere Pilger die eigentliche Wanderung (viele von ihnen sind jedoch schon viel laenger unterwegs). Hier steht das erste von vielen Kreuzen, die alle paar hundert Meter am Pilgerweg zu finden sind. Es ist ein Ort zum Beten, still werden. Kerzen werden angezuendet. 8 km sind es von Mawayani nach Qoyllurit’i. Wir laufen mitten in der Nacht los. Es ist kalt, sehr kalt. Zum Glueck sind wir vorbereitet und dick eingepackt. In Mawayani reihen Zeltstaende aus blauen Planen den Weg. Alles kannst du hier kaufen: heisse Suppen, Tee, Muetzen, Decken, Taschenlampen, Wanderstoecke, Kaugummis… Steil geht es in der Dunkelheit den Berg hinauf. Wir atmen schwer. Unsere Lungen versuchen, so viel Sauerstoff wie moeglich aus dieser duennen Hoehenluft zu ziehen. Die zerkauten Coco-Blaetter in unseren Wangentaschen helfen dabei. Wir passen uns dem Schritt der uns umgebenden Menschen an, teils schwer bepackt mit Kreuzen, Feuerholz, Kochtoepfen oder sogar Matratzen. Irgendwann ist der Anstieg vorbei. Es daemmert und die aufgehende Sonne taucht die schneebedeckten Gipfel hinter uns in goldenes Licht. 3 Stunden spaeter kommen wir erschoepft und gluecklich in Qoyllurit’i an. Vor uns eroeffnet sich eine surreale Szenerie: Menschenmassen zwischen den bekannten blaubeplanten Zeltstaenden und normalen Outdoorzelten, die auf den Berghaengen wie Farbtupfer wirken. An den Staenden bieten uns die VerkaueferInnen Haeuser, Zeugnisse, Uni-Abschluesse, Autos… in Miniaturform an. Kreuzketten, Schluesselanhaenger und Heiligenbilder gibt es auch. „30 Mil Dolares para un Sol! 30 Mil Dolares para un Sol!“ hoeren wir aus verschiedenen Ecken Haendler, die mit Spielgeld in der Luft wedeln, rufen. Ein unschlagbares Angebot! Gehst du dreimal zum Señor de Qoyllurit’i und wuenschst dir etwas, geht es in Erfuellung – wird gesagt. Sparst du also auf ein Auto, kannst du es dir hier in Miniaturform kaufen und segnen lassen. Nach dem dritten Mal, wirst du ein echtes Auto haben. Du musst nur daran glauben.
Auf dem Platz vor dem Tempel tanzen und singen die Tanzgruppen. Wir sind aufgekratzt und fasziniert von dem was wir sehen. Sie peitschen sich gegenseitig aus. Das gehoert dazu. Warum weiss ich nicht. Etwas abseits vom Geschehen lassen wir uns nieder und hoeren mit einem halben Ohr der Messe zu. Die zahllosen Eindruecke dieses Spektakels machen muede. Wir doesen etwas in der Sonne und verbringen den Tag beobachtend, herumlaufend, schlafend, und finden uns schliesslich am Mittag in einem Essenszelt bei Lomo Saltado wieder. Bevor wir uns auf den Rueckweg begeben, kaufen wir uns jeder noch unser persoenliches Erinnerungsstueck und lassen es von einer Señora unter dem Rauch von Palo Santo segnen. Aber auch ohne Mitbringsel wuerden wir dieses Erlebnis wohl so schnell nicht vergessen.
Copyright Fotos: Anne Hensel